Neu im Kino/Filmkritik: „Für immer hier“, der Gewinner des Oscars als Bester Internationaler Film (2025)

Zugegeben, die Konkurrenz für „Für immer hier“ bei den diesjährigen Oscars in der Kategorie „Bester internationaler Film“ war stark, aber auch etwas schräg. „Flow“ (gleichzeitig als bester Animationsfilm nominiert) und „Emilia Pérez“ (gleichzeitig als bester Film nominiert) hätten zweimal eine Bester-Film-Trophäe erhalten könnnen. Auch „Für immer hier“ war als bester Film nominiert und er hätte, wie 2020 „Parasite“, zweimal Bester Film werden können. Diese doppelte Gewinnchance halte ich gegenüber den anderen Filmen für etwas unfair.

Bei den beiden weiteren als Bester Internationaler Film nominierten Filmen, nämlich „Das Mädchen mit der Nadel“ und, als deutscher Beitrag, „Die Saat des heiligen Feigenbaums“, gab es dann keinen eindeutigen Favouriten.

Denn keiner der Filme ist vollkommen schlecht, aber jeder Film hat seine spezifischen Vorzüge und Probleme. So erzählt Walter Salles die Geschichte einer Entführung aus einer ungewohnten Perspektive. Dass es sich um eine wahre Geschichte handelt, wird erst am Ende gesagt. Das erklärt nachträglich auch einige der auf den ersten Blick seltsamen Reaktionen der Figuren, die es so in einer erfundenen Geschichte wahrscheinlich nicht gäbe. Und es erklärt den arg langen, sich über mehrere Jahre, fast bis zur Gegenwart, erstreckenden fast halbstündigen Epilog, der auch unter „was danach geschah“ firmieren kann und auf den ersten Blick der Hauptgeschichte nichts beifügt. Es macht nur aus einem schlanken Film, der seine Geschichte in deutlich unter zwei Stunden erzählt ein fast 140-minütiges, sich am Ende wie Kaugummi ziehendes Werk.

Für immer hier“ spielt hauptsächlich in den frühen siebziger Jahren in Brasilien. Das sudamerikanische Land war von 1964 bis 1985 eine Militärdiktatur. Damals verschwanden unzählige Menschen, die mehr oder weniger gegen die Regierung waren, spurlos. Was genau mit ihnen geschah, ist bis heute oft nicht geklärt. Meistens wurden sie gefoltert, ermordet und irgendwo vergraben.

Am 20. Januar 1971 verschwindet, nachdem er von Männern, die sich als Mitglieder der Luftstreitkräfte ausgaben und ihn mitnahmen, der in Rio de Janeiro lebende Rubens Paiva. Er war Bauingenieur, von 1962 bis zu ihrer Auflösung 1965 Mitglied der Partido Trabalhista Brasileiro (Brazilian Labour Party, PTB) und ein zum linken Flügel der Partei gehörender Kongressabgeordneter. Nach dem Staatsstreich des Militärs ging er nach Europa ins Exil. Er kehrte nach einigen Monaten zurück zu seiner Familie und half Menschen, die von der Militärdiktatur verfolgt wurden, während er nach außen ein normales bürgerliches Leben lebte. Außerdem ist er verheiratet und Vater von fünf Kindern.

Im folgenden schildert Walter Salles („Die Reise des jungen Che“, „On the Road – Unterwegs“), wie Hans-Christian Schmid in seinem Drama „Wir sind dann wohl die Angehörigen“ über die Entführung von Jan Philipp Reemtsma, die Leiden der Familie. Sie warten auf Nachrichten. Sie müssen sich mit der Situation und dem möglichen Tod des Verschwundenen zu arrangieren. Ins Zentrum rückt in „Für immer hier“ Rubens zunächst politisch desinteressierte Ehefrau Eunice (fantastisch gespielt von Fernanda Torres). Sie versucht, die Familie zusammen zu halten und auf das Schicksal ihres vermutlich schon toten Mannes aufmerksam zu machen.

Als Inspiration für seinen Film diente Salles seine Bekanntschaft mit der Familie Paiva als Jugendlicher und Marcelo Rubens Paivas Buch über seine Mutter, seinen verschwundenen Vater und seine Familie. Salles und seine Drehbuchautoren Murilo Hauser und Heitor Lorega rückten dann die Mutter und ihre Geschichte in den Mittelpunkt des Films.

Der Ansatz, die Geschichte eines Entführten aus der Geschichte der Zurückgebliebenen zu erzählen, ist durchaus interessant. Es geht um die Ungewissheit, was mit dem Entführten geschehen ist und, in diesem Fall, um das Leben in einer Diktatur. Wie bei unzähligen anderen Verschwundenen, wurde nie vollständig geklärt, was mit Rubens Paiva geschah. 1996 wird er für Tod erklärt. Seine Leiche wurde bis jetzt nicht gefunden.

In Brasilien war der Film ein Kassenhit, der Diskussionen über diesen Teil der brasilianischen Geschichte anstieß.

Neu im Kino/Filmkritik: „Für immer hier“, der Gewinner des Oscars als Bester Internationaler Film (1)

Für immer hier (Ainda Estou Aqui, Brasilien 2024)

Regie: Walter Salles

Drehbuch: Murilo Hauser, Heitor Lorega

LV: Marcelo Rubens Paiva: Ainda Estou Aqui, 2015

Musik: Warren Ellis

mit Fernanda Torres, Fernanda Montenegro, Selton Mello, Valentina Herszage, Luiza Kozovski, Maria Manoella, Marjorie Estiano, Bárbara Luz, Cora Mora, Gabriela Carneiro da Cunha, Olivia Torres, Guilherme Silveira, Antonio Saboia

Länge: 138 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Moviepilot über „Für immer hier“

Metacritic über „Für immer hier“

Rotten Tomatoes über „Für immer hier“

Wikipedia über „Für immer hier“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Walter Salles‘ „On the Road“ (On the Road, USA/GB/F/BR, 2012)

This entry was posted on Donnerstag, 13. März 2025 at 3:41 pm and is filed under Filmkritiken.You can follow any responses to this entry through the RSS 2.0 feed.You can leave a response, or trackback from your own site.

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